SDG Reise
© WK Tirol

Mit den SDGs nachhaltig immer besser werden

17 nachhaltige Entwicklungsziele der UN und ein Reiseziel: Stockholm. Nach der ersten SDG-Studienreise der WK Tirol 2019 zu den Vereinten Nationen nach Genf gab es im April 2023 eine Fortsetzung. Eine Tiroler Delegation reiste in den Norden, in das Top-Innovationsland der EU: Schweden.

Lesedauer: 7 Minuten

Aktualisiert am 03.01.2024

SDG: Der Begriff der „Sustainable Developement Goals“ ist mittlerweile allseits bekannt. Spätes-tens mit der Veröffentlichung der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive/CSRD) am 14.12.2022 im Amtsblatt der Europäischen Union erfahren die SDGs – die nachhaltigen Entwicklungsziele der UN – eine verstärkte Verbindlichkeit im Unternehmensbereich. Mit der CSRD wird die bestehende Richtlinie über die nichtfinanzielle Berichterstattung von 2014 (NFDR) geändert. Transparenz in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) soll für große Unternehmen ab 2024 zur Norm werden.  Die Bezeichnung „großes Unternehmen“ gilt für solche, die mindestens zwei der folgenden Kriterien überschreiten: Nettoumsatz von 40 Millionen Euro, Bilanzsumme von 20 Millionen Euro, 250 Beschäftigte im Durchschnitt des Geschäftsjahrs. Für Unternehmen, die derzeit nicht unter die Berichtspflichten fallen, ist die Umsetzung ab 2025 vorgesehen. Mit dieser Richtlinie geht die Europäische Union einen weiteren Schritt in Richtung Vorreiterrolle bei der Festlegung nachhaltiger Standards.

Nachhaltigkeit: Brisanz steigt

Zeit zum Netzwerken gab es gleich am ersten Abend beim Empfang der österreichischen Botschafterin Doris Danler.  Die gebürtige Schwazerin freute sich über den Austausch mit der Delegation aus Tirol und zeigte sich im Gespräch mit Marlene Hopfgartner, Nachhaltigkeitsbeauftragte in der WK Tirol, stolz darüber, wie aufgeschlossen und innovativ die Tiroler Wirtschaft sei. Dennoch müssten Abstriche gemacht werden, wie Sophie Nachemson-Ekwal, Nachhaltigkeitsbeauftragte beim weltweit tätigen Wirtschafts- und Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PwC), im Rahmen ihres Vortrags in der Residenz der österreichischen Botschaft betonte: „Führende Unternehmen sind auf dem nachhaltigen Weg, das ist in Schweden und in der gesamten EU spürbar, hat aber noch nicht die Brisanz erreicht, die angesichts der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele angesagt wäre.“

Schweden sei in Bezug auf die vier Einflussbereiche für einen funktionierenden Wirtschaftsmarkt – Familie, Kooperationen, öffentlicher Sektor, gemeinnützige Zivilgesellschaft – ein Extremfall, denn, obwohl das Land führend bei der Vereinbarung von Famile und Beruf sowie im Ausbau der Infrastruktur sei, wirke das Verhältnis der Unternehmen zur Zivilgesellschaft aufgrund der schwedischen Wirtschaftsstruktur vieler Großunternehmen mit ausländischen Eigentümern etwas distanziert. Aus diesem Grund liegt großes Verbesserungspotenzial im Ausbau der sozialen Nachhaltigkeit vor. Das Verbesserungspotenzial liegt in neuen Richtlinien und Regularien der EU wie z. B. der Taxonomie-Verordnung. Sie können die Interessen der Gesellschaft für die schwedische Wirtschaft fördern. Hierdurch kann ein großer Schritt zu mehr sozialer Nachhaltigkeit gesetzt werden.

Die Zusammenarbeit von PwC mit dem AußenwirtschaftsCenter der WKO in Stockholm lobt Nachemson-Ekwal als exzellent. Diesem Lob  schließt sich der anwesende Wirtschaftsdelegierte, Martin Glatz, an. Von Stockholm aus leitet er auch die Außenwirtschaftsbüros in Kopenhagen, Helsinki und Oslo mit den Betreuungsbereichen Dänemark, Finnland, Färöer, Grönland, Island, Norwegen und natürlich Schweden. Besonders gut würde sich derzeit Biowein aus Österreich verkaufen, verrät Martin Glatz
Die AußenwirtschaftsCenter der WKO sind in rund 100 Stützpunkten auf fünf Kontinenten vertreten und unterstützen Exportunternehmen mit Länderinformationen, Branchenwissen und Partnernetzwerken.

 Die Organisator:innen der SDG-Reise, Marlene Hopfgartner, Simon Oswald und Desirée Stofner (Mitte, v.l.), überreichen Geschenke der WK Tirol an Bianca Dochtorowitz (l.) und Emma Bäcke (r.), beide Vinnova. Die Organisator:innen der SDG-Reise, Marlene Hopf
© WK Tirol Die Organisator:innen der SDG-Reise, Marlene Hopfgartner, Simon Oswald und Desirée Stofner (Mitte, v.l.), überreichen Geschenke der WK Tirol an Bianca Dochtorowitz (l.) und Emma Bäcke (r.), beide Vinnova.

 

Schweden: Offen für Neues

Zurecht stolz ist Schweden auf seine Top-Position in Europa, wenn es um Innovation geht. Im globalen Innovationsindex (GII) rangiert Schweden auf Platz 3, hinter der Schweiz und Südkorea. Die Vertreterinnen der internationalen Abteilung in der schwedischen Innovationsagentur Vinnova, Bianca Dochtorowitz und Emma Bäcke, sehen das Erfolgskonzept vor allem im ganzheitlichen Ansatz der Innovationskultur in Schweden. Jedes Projekt, das eine Förderung beantragt, muss sich einem SDG zuordnen lassen – nachhaltige Entwicklung ist die Basis und eine der drei Säulen mit Systeminnovation und Zusammenarbeit. Das Förderbudget beträgt 3,7 Billionen schwedische Kronen. Vinnova hat die Aufgabe, Schwedens Innovationskapazität zu stärken und zu nachhaltigem Wachstum beizutragen.

Dabei wird auf das Potenzial jedes und jeder Einzelnen gesetzt: Mit der höchsten Frauenbeschäftigungsquote in der EU, den vielen Vorteilen innerhalb des Systems des Wohlfahrtsstaates, erweitertem Urlaubsanspruch in Verbindung mit Karenz (50:50 für beide Elternteile, bis zum 12. Lebensjahr des Kindes) sind die sozialen Voraussetzungen hervorragend. Kreativität und kritisches Denken der Mitarbeiter:innen haben im Management viel Platz und hierarchische Systeme sind im Innovationsland tabu. Neue Technologien sind sehr willkommen und die Infrastruktur ist vorhanden, wie z. B. eine ausgezeichnete Versorgung von Breitband-Internet. Außerdem investiert Schweden 3.33 Prozent seines BIP in Forschung & Entwicklung und liegt damit im weltweiten Vergleich an 4. Stelle hinter Südkorea, Israel und der Schweiz.

Sicherheit geht vor im Biomassekraftwerk Värtaverket.
© WK Tirol Sicherheit geht vor im Biomassekraftwerk Värtaverket.


Inner Developement Goals

Alles, was wir tun, müsse die nachhaltige Entwicklung als Ziel haben, davon ist Louise König überzeugt. Sie ist CEO des Kommunikationsbüros The New Division, das zur in New York ansässigen Agentur Trollbäck & Company des Schweden Jakob Trollbäck gehört. Er schuf die kachelartige Kommunikationssprache der SDGs. Zur Beschleunigung der weltweiten Umsetzung der SDGs bis 2030 hat The New Division als Zusatz die Bedingungen formuliert und ebenfalls in eine grafische Sprache übersetzt: Die inneren Ziele (IDG). Mehr Infos unter: www.thenewdivision.world

Forschung & Entwicklung

Das Digital Future Lab ist ein interdisziplinäres Forschungszentrum der Königlich Technischen Hochschule und der Universität Stockholm und verfolgt das Ziel, eine wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltige Gesellschaft durch digitale Transformation zu gestalten. 200 Forschungsgruppen kooperieren hier mit acht Partner:innen, Unternehmen und Stakeholdern, fasst COO Anna Kiefer für die Besucher:innen zusammen. In der Vortragsreihe startet Karin Ekdahl Wästberg, Direktorin für Innovation der Stadt Stockholm, und präsentiert Auszüge aus ihrer nachhaltigen Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Sie erklärt, dass die Zusammenarbeit der Stadt mit Expert:innen aus Europa, vor allem um Wasser aus dem Mälarsee aufzubereiten, bis 1642 zurückverfolgbar sei. Derzeit arbeitet Stockholm mit strategischen Partner:innen aus der Wirtschaft und der Universität an einem Klimaentwicklungsplan 2020 – 2023. Scania ließ mit einem Best Practice Projekt aufhorchen: Zur Reduktion von Kraftstoffverbrauch soll Solarenergie von Paneelen auf der Lkw-Fläche gewonnen werden. Pernilla Bergmark von Ericsson verriet, dass es aufgrund fehlender Expert:innen zunehmend schwieriger werde, für relevante Forschungsthemen, das richtige Team zu finden. Sebastian Hafner präsentierte ein Digital Futures Project, das auf Basis von Satellitenbildern Daten sammelt. Damit können beispielsweise Hitzepole in der Stadt analysiert werden, um Verbesserungen herbeizuführen. 

Wir müssen uns für Nachhaltigkeit engagieren. Die SDGs sagen uns, was zu tun ist, die IDG, wie wir es schaffen.


Kreislaufwirtschaft im Handel

Ein weiterer Beitrag kam von Emely Eckholm. Sie ist Teil von Hui, einer Beratungsagentur, die von der schwedischen Arbeitgeberorganisation des Einzelhandels gegründet wurde. Eckholm sieht einen Trend zum nachhaltigen Einkaufen bei jungen Menschen, die Recycle-Ware bevorzugen würden. Mehr als die Hälfte würde nur in Läden einkaufen, die auf Nachhaltigkeit setzen. Neue Geschäftsmodelle in der Kreislaufwirtschaft würden entstehen wie z. B. Sellpy, die mit Modekonzernen zusammenarbeiten und online Secondhand-Wiederverkauf als Service anbieten. Hochwertige Upcycling- und Secondhand Mode-Händler:innen seien im Trend, wie z. B. Arkivet, das mit sehr schönen Geschäften und hochpreisiger Ware erfolgreich ist. Peer to peer Plattformen, z. B. Blocket oder Shipock, sind der Markt, der in Schweden am meisten wächst. Öfterer Besitzerwechsel teurer und luxuriöser Kleidung würde boomen, dadurch erhöhe sich der Lebenszyklus der Produkte.

In einem weiteren Vortrag stellte Ole Altera, Vorstand im Rat für Klimapolitik, dessen Arbeit näher vor. In Schweden ist der Klimarat  ein von der Regierung beauftragtes, aber unabhängiges, multidisziplinäres Expertengremium, das jährlich im September seinen Bericht vorlegt. Dieser beurteilt, ob die Maßnahmen der Regierung zur Erreichung des Zieles, bis 2045 keine Netto-Treibhausemissionen zu verursachen, auf Kurs liegen. Und gewissermaßen mit den SDGs „aufgewachsen“ ist Essity, der Marktführer im professionellen Hygiene Segment (Marken Tork und Tena – Produkte für Inkontinenzpatienten). Denn der weltweit tätige Konzern mit Sitz in Stockholm wurde zur selben Zeit gegründet wie die SDGs und folgt seither den 6 für das Unternehmen besonders relevanten, in 50 Ländern mit 57.000 Mitarbeiter:innen. „Es gibt kein eigenes Nachhaltigkeits-Team“, sagt Anna Brodowsky, Vice President Public Affairs, und betont: „Nachhaltiges Handeln ist in allen Firmenbereichen verinnerlicht. Themen wie Recycling, Inklusion, Biodiversität und Beachtung der Menschenrechte in der Lieferkette waren von Anfang an Teil der Firmenkultur.“ Essity steht für die Marken Feh, Tempo, Cosy, Zewa, Plenty, und Danke sowie Demak’Up.

Fernwärme aus der Nähe

Als eines der größten Biomasse-Blockheizkraftwerke Europas versorgt Värtaverket 800.000 Haushalte mit Strom und bildet einen Meilenstein im Sinne einer nachhaltigen Energieversorgung für die schwedische Hauptstadt. Zur Energiegewinnung werden CO2-neutrale Abfälle aus der regionalen Holzwirtschaft genutzt. Ein zentrales Forschungsprojekt des Betreibers Stockholm Exergi befasst sich mit der Lagerung von verflüssigtem CO2 im Sediment des Meeresbodens.
Die Führung durch das Biomassekraftwerk mitten in Stockholm schloss das breit gefächerte Programm ab, das Simon Oswald vom AußenwirtschaftsCenter für die SDG Studienreise zusammenstellte.

„Die 2. SDG-Reise nach Stockholm war wieder sehr lehrreich und informativ“, fasst Marlene Hopfgartner, Nachhaltigkeitsbeauftragte in der WK Tirol, zusammen: „Schweden ist uns z. B. im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf um einiges voraus, aber auch Österreich und Tirol haben ganz klare Stärken. Unsere klein- und mittelständische Unternehmensstruktur, großteils in Familienbesitz, erlaubt es uns, flexibler auf zukünftige (ökologische) Herausforderungen zu reagieren. Die Reise hat uns neue Horizonte eröffnet und die Teilnehmer:innen konnten ihr Netzwerk nach Schweden erweitern.“

Infos unter: www.WKO.at/tirol/nachhaltigkeit

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