Herausfordernde Baustellen

Das „Verkehrs-Land“ Tirol steht vor enormen Herausforderungen. Die Sanierung des Arlbergtunnels sowie der Luegbrücke sind dafür nur zwei der vielen Beispiele.

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Aktualisiert am 23.05.2023

„Wir haben mehrere Baustellen an unterschiedlichen Enden des Landes“, sagt Rebecca Kirchbaumer. Blickt die Obfrau der Sparte Transport und Verkehr in der WK Tirol auf die großen Verkehrswege Tirols, gibt es kaum eine Himmelsrichtung, bei der ihr Auge nicht hängen bleibt. Der Fernpass im Norden, der Arlbergpass im Westen, die Luegbrücke im Süden, der Grenz-übergang Kiefersfelden im Osten und nicht zuletzt der Brennerkorridor sind die Baustellen, die sie meint. „Manche Dinge werden wir nicht ändern können“, stellt Kirchbaumer auch gleich eingangs zum Verkehrsaufkommen auf den Tiroler Straßen fest, das in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen ist und das auch in den kommenden Jahren nicht weniger werden wird. Hauptverantwortlich dafür ist entgegen der weiterverbreiteten Meinung aber nicht der Lkw, sondern mit über 11 Millionen Fahrzeugen der Pkw-Verkehr. So ernüchternd diese Wahrheit ist, so wichtig ist sie, wenn es darum geht, verkehrspolitische Maßnahmen und Lösungsansätze zu durchleuchten oder im Sinne der heimischen Wirtschaft zu hinterfragen. „Wir brauchen Planbarkeit und Verlässlichkeit“, betont sie.

Durch diese Brille betrachtet, ist die Sanierung des Arlbergtunnels, die heuer und 2024 zu mehrmonatigen Sperren führen wird, wohl die einfachste Geschichte, wenngleich Sperren wie diese stets lästige Begleiterscheinungen haben. 75 Millionen Euro hat die Asfinag für die Sanierungsarbeiten veranschlagt. Rund 8.000 Fahrzeuge fahren im Schnitt täglich durch den Arlbergtunnel und schon bei den Tunnel-Sanierungsarbeiten in den Jahren 2015 und 2017 war der Verkehr entweder großräumig umgeleitet oder über den Arlbergpass geführt worden. „Das hat gut funktioniert. Da hat man Erfahrung“, weiß Kirchbaumer. Im November 2024 wird diese Baustelle erledigt sein – und Geschichte.

Die Verkehrssituation im Bezirk Reutte ist eine permanente Herausforderung für die Wirtschaft und die Bevölkerung.

Dringender Handlungsbedarf

Beim Schwenk vom Arlberg aus in Richtung Nord-Osten – hin zum Fernpass – werden die Geschichten erst noch geschrieben. „Die Verkehrssituation im Bezirk Reutte ist eine permanente Herausforderung für die Wirtschaft und die Bevölkerung. Dringender Handlungsbedarf ist speziell auf der Fernpassroute gegeben“, stellte Christian Strigl,WK-Bezirksobmann für Reutte, erst kürzlich fest. Rund 30.000 Fahrzeuge sind es, die sich an Tagen der großen nordischen Reise- oder Rückreisefreude über den kurvigen Pass zwängen.

Die permanente Herausforderung, von der Strigl spricht, zeigt an diesen Tagen weitere Spitzen. Tirolweit waren im Zuge der Abfahrtverbote auf bestimmten Straßen 2022 insgesamt 73.000 verbotenerweise abgefahrene Kfz zurück auf die „Hauptschlagadern“ gelenkt worden – allein 40.400 davon im Bezirk Reutte. Dass an gewissen Tagen kein Durchkommen vom Außerfern ins Inntal und umgekehrt möglich ist, belastet die Wirtschaft genauso wie die Bevölkerung, die mit der von WK-Obmann Strigl geforderten Aufwertung der Außerfernbahn eine Alternative hätte. Für den Fernpass selbst hofft die Wirtschaft auf einen raschen Bau des 1,3 Kilometer langen Scheiteltunnels und lehnt die geplante Maut ab, deren Höhe mit derzeit kolportierten 11 Euro pro Fahrt kaum geringer wäre als die Maut für den Arlbergtunnel.

Keine Verlagerung

„Durch die Maut wird es zu keiner Verlagerung kommen“, ist Kirchbaumer überzeugt. Auch der Allgemeine Deutsche Automobilclub (ADAC), der seine Mitglieder im Dezember 2022 über die Fernpass-Mautpläne der Tiroler Landesregierung informierte, hielt zur Alternativ-Route Mittenwald – Seefeld –
Zirler Berg fest, dass sie für Reisende über Füssen „nur bedingt geeignet“ sei – auch weil Gespanne am Zirler Berg verboten sind. Ob 11 Euro Maut auf der A7 Reisende am Knoten Memmingen dazu bringt, über Lindau (A96) und die Rheintalautobahn (A14) zur Arlbergschnellstraße (S16) zu fahren, ist fraglich.
Eher würde sich möglicherweise ab Ulm ein Schwenk in Richtung Inntaldreieck und die Inntalautobahn A12 anbieten, wo die Staumeldungen an Reisetagen jedoch in nicht minder raschem Takt den Verkehrsfunk füllen.


Besonders heikel wird die Situation auf allen wichtigen Tiroler Straßen, wenn die Sanierung der Luegbrücke nicht so schnell wie möglich in den Angriff genommen wird.

Heikles Nadelöhr

„Besonders heikel wird die Situation auf allen wichtigen Tiroler Straßen, wenn die Sanierung der Luegbrücke nicht so schnell wie möglich in Angriff genommen wird“, spricht Kirchbaumer eine Baustelle an, die ein Nadelöhr auf dem Weg aller Fahrzeuge in Richtung Süden – und zurück – werden wird. In diesem Zusammenhang macht Kirchbaumer auch auf die Nachteile einer Tunnellösung aufmerksam. „Wenn man Richtung Arlberg blickt, sieht man welche Auswirkungen eine Tunnelsperre hat. Manche Sperren sind planbar und regelmäßig notwendig, andere etwa aufgrund eines Unfalles oder eines Brandes nicht – die Auswirkungen sind aber immer dieselben – kilometerlange Staus und eine Sperre des Tunnels.“

Schon im August 2022 betonte WK-Präsident Christoph Walser, wie entscheidend der rasche Start der Luegbrücken-Sanierung ist. Je länger sich dieser Start verzögert, umso schwächer werden die Tragwerke der Brücke und umso sicherer wird, dass der Verkehr über die Brücke nur noch in jede Richtung einspurig fahren kann. Wegen der damit vorprogrammierten Staus müsste, so Walser, mit einem enormen Schaden für den Wirtschaftstandort Tirol gerechnet werden, dessen Dynamik nur funktioniert, wenn Planbarkeit und Verlässlichkeit keine Frage des Glücks sind. 63 Prozent des Lkw-Verkehrs auf der Brennerroute sind transitierend, sie fahren also durch Tirol ohne hier irgendwas zu erledigen. „Der Rest ist Binnen-, Ziel- und Quellverkehr, der zumindest eine gewisse Teilentladung oder Beladung in Tirol macht“, erklärt Spartenobfrau Kirchbaumer und stellt klar: „Ohne Lkw können unsere Firmen nichts mehr exportieren, bekommen keine Rohstoffe geliefert und das bedeutet den Stillstand der Produktion.“

Verkehrsfluss

Jede Entscheidung, die für den Verkehr durch Tirol getroffen wird, trifft auch die Tiroler:innen und die Tiroler Wirtschaft selbst. Eine Einspurigkeit auf der Luegbrücke bedroht den sicheren Verkehrsfluss auf der Brennerroute jedenfalls massiv, muss sich der doch nach dem schwächsten Glied richten. Auch wenn man alle Lkw auf die Schiene verlagern würde, was derzeit nicht möglich ist, würde der Pkw-Verkehr bis in den Zentralraum Innsbruck und weit darüber hinaus zurückstauen. Wie sich die Situation darstellen könnte, wird uns jährlich rund um das Pfingstwochenende vor Augen geführt, wo Pkw regelmäßig versuchen, auf das niederrangige Straßennetz auszuweichen.

Fakt ist, dass die Verlagerung des Lkw-Verkehrs auf die Schiene zwar allseits gefordert und auch von der Tiroler Wirtschaft forciert wird. Fakt ist aber auch, dass für eine spürbare Verlagerung noch zahlreiche Schienen-Kapazitäten und nicht weniger zahlreiche Infrastrukturen fehlen. Bis der Brennerbasistunnel mit all den an ihn geknüpften Erwartungen in Betrieb gehen kann, ziehen noch einige Jahre ins Land, in denen Tirol Hotspot für den Güter- wie den Personenverkehr auf der Straße bleiben wird. „Hier muss die Wahrheit gesagt werden, alles andere wäre unfair“, so Kirchbaumer.


Ohne LKW können unsere Firmen nichts mehr exportieren, bekommen keine Rohstoffe geliefert und das bedeutet den Stillstand der Produktion.

Praxischeck für Slot-System

In puncto Lkw-Maut hat Österreich seine Möglichkeiten – etwa mit dem 25-prozentigen Mautaufschlag im Unterinntal – bereits ausgeschöpft. Die oft diskutierte Korridormaut von Rosenheim bis Verona, mit der das Mautniveau auf der Gesamtstrecke dem österreichischen angepasst werden könnte, bleibt oft diskutiert – aber nicht mehr. Italien ist ein importierendes Land von Rohstoffen und ein exportierendes von Produkten. „Es ist fraglich, ob italienische Politiker die Industrie im Norden des Landes mit einer höheren Maut belasten und ähnlich illusorisch ist ein diesbezügliches Einschreiten deutscher Entscheidungsträger“, macht die Spartenobfrau den ewigen Stillstand in dieser Frage nachvollziehbar und hält zu einer relativ neuen Frage fest: „Das aktuell diskutierte Slot-System für transitierende Lkw ist derzeit noch mit deutlich mehr Fragen als Antworten verbunden. „Ob es für die Praxis taugt, wird sich erst herausstellen müssen. Wir als Transportwirtschaft sind aber gerne bereit praktischen Input zu liefern“, so Kirchbaumer.

Hinter dem Slot-System auf der Brennerachse verbirgt sich ein Dosiersystem, mit dem Durchfahrtsrechte zu bestimmten Zeitpunkten – den Slots – gebucht beziehungsweise vergeben werden. Das System, mit dem der Flugverkehr schon seit Jahrzehnten geregelt wird, soll damit gleichsam auf die Straße gebracht werden, um den Lkw-Verkehr planbarer zu machen. Was in der Luft bestens funktioniert, kann auf der Erde jedoch zu zahlreichen Problemen führen. Ist ein Flugzeug etwa zu schnell am Zielflughafen, wird es in die Warteschlange geschickt und dreht fliegend Runden, bis die Zeit für die Landung gekommen ist. Was, wenn ein Lkw zu früh in Kiefersfelden „landet“? Wo wartet er? Wo sind die Rangierflächen für Lkw, die ihren Slot verpasst oder noch gar keinen haben? Wie wird das gestaltet? Einem Flugzeug ist es auch möglich, gewisse Rückstände aufzuholen und schneller zu fliegen, um den Slot-Plan einhalten zu können. Zwischen dem Frachthafen in Hamburg und Kiefersfelden kann alles mögliche die Fahrt verzögern – eine Panne, ein Unfall, schlechtes Wetter oder dichte Verkehrsstaus. Was, wenn ein Lkw zu spät kommt? Welche Toleranzzeit gibt es? Wann verfällt ein Slot? Wie schnell kommt ein Lkw zu einem neuen?

Slot-Buchung

Bei der Buchung eines Slots müssen Daten, wie das Kennzeichen, der Name des Fahrers und die Uhrzeit des Übertritts angegeben werden, weswegen es nicht möglich ist, den Slot auf den Markt zu werfen. „In der Praxis gibt es noch viele Fragen, die unbeantwortet und Voraussetzungen, die noch nicht erfüllt sind“, gibt die Spartenobfrau zu bedenken. Sie wartet aber auch mit einer zusätzlichen Idee auf: „Man sollte auch überlegen, ob man das Slot-System nicht auf den Hauptverursacher, nämlich den transitierenden Pkw-Verkehr ausdehnt. Das würde wirklich eine Entlastung bringen“, so Kirchbaumer. Dazu zählt etwa die Digitalisierung in Bayern, wo noch heute Mitarbeiter:innen der Straßenmeisterei mit Leiter und Schraubenzieher ausrücken, wenn in Kufstein wieder einmal der Verkehr dosiert wird und in Bayern entsprechend die Geschwindigkeitsbeschränkung von 100 km/h auf 80 km/h reduziert werden muss.

Ein einheitliches digitales System in Bayern, Tirol und Südtirol ist essenziell für die Abwicklung und Kontrolle des Slot-Systems. Bis eine diesbezügliche Ausschreibung und Vergabe über die europäische Bühne gebracht würde, können locker drei bis fünf Jahre vergehen. Eine der brennendsten Fragen ist aber, wie der Ziel- und Quellverkehr rascher nach Tirol kommen soll, wenn die Fahrzeuge in den Slot-Schlangen stehen. Muss, um den Verkehrsfluss aufrecht zu erhalten, zwingend eine dritte Spur gebaut werden? „Ein Slot-System kann für uns nur mit freier Fahrt für die heimische Wirtschaft funktionieren“, stellt Rebecca Kirchbaumer klar und wiederholt den Leitsatz, der bei der Antwort auf alle Verkehrsfragen bestimmend sein muss: „Wir brauchen Planbarkeit und Verlässlichkeit.“