Künstliche Intelligenz kann vieles ändern
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Künstliche Intelligenz kann vieles ändern

ChatGPT ist die jüngste Wucht mit Veränderungskraft. Im Interview erklärt Mario Eckmaier, Digitalisierungsbeauftragter der WK Tirol, warum es allen gut tut, sich mit Künstlicher Intelligenz zu beschäftigen.

Lesedauer: 9 Minuten

Aktualisiert am 30.05.2023

ChatGPT ist eine auf Künstlicher Intelligenz basierende Technologie, deren potenzielle Veränderungswucht gerade in aller Munde ist. Von Schulen oder Universitäten ist bekannt, dass sie sich intensiv damit auseinandersetzen. Was bedeutet ChatGPT für Unternehmen?

Mario Eckmaier: ChatGPT finde ich insofern ein ganz spannendes Thema, weil es uns viele Facetten der digitalen Transformation aufzeigt. Das Thema selbst ist omnipräsent – und das im positiven Sinne. Es liegt Veränderung in der Luft. Dass etwas so breit ein Thema ist, haben wir in dieser digitalen Transformation eigentlich weniger oft. Wo man sagt, wow, was kommt denn da, was tut sich da – diese positive Neugier ist selten. Gleichzeitig gibt es bei ChatGPT viele Facetten. Wenn man mit jungen Menschen spricht, die gerade im Schulsystem ihre Zeit verbringen, haben die eine riesengroße Freude über das Hilfsmittel, das ihren schulischen Alltag weniger anstrengend macht (lacht).

Perspektivenwechsel zur Lehrerschaft – da sorgt ChatGPT eher für Sorgenfalten…

…natürlich. Sie fragen sich, ob das das Ende schriftlicher Arbeiten bedeutet, weil – im Moment wenigstens – noch nicht  beurteilt werden kann, wo das herkommt, von den Schüler:innen selber oder aus einer Software heraus. Man merkt, da ist etwas in Bewegung gekommen und es gibt unterschiedliche Zugänge dazu.

Was sagen Fachmenschen zu ChatGPT, also Menschen, die sich mehr als andere, mit Themen wie Künstlicher Intelligenz beschäftigen?

Für die ist es nicht die große Überraschung, dass da etwas aufgetaucht ist. GPT3 gab es schon zwei Jahre bevor das darauf basierende ChatGPT im Dezember 2022 öffentlich zugänglich wurde. Was wir als Unternehmer:innen daraus lernen können ist, dass Dinge sich in Wahrheit viel länger abzeichnen, als es dann vermeintlich nach außen hin der Fall ist. Dass es jetzt ein so großes Thema ist, hat auch damit zu tun, dass es sehr niederschwellig ist. Das heißt, es ist supersupereinfach, jeder kann das bedienen und wenn man damit ein bissl herumspielt, ein paar Fragen eingibt und schaut, was da herauspurzelt, ist man bass erstaunt – über die Qualität und den Umfang. Insofern ist es für mich im Moment ein wunderbares Beispiel, das uns helfen kann, neugierig und spielerisch mit diesen Themen umzugehen, gleichzeitig aber auch die Tragweite erahnen zu können, in was wir da gerade hineingestolpert sind.

In was sind wir gestolpert?

In diesen großen Transformationsprozess, der vieles verändert. ChatGPT zeigt auch auf, dass sich manche Berufsbilder stark verändern werden, weil plötzlich neue digitale Werkzeuge da sind. Neue Werkzeuge haben wir immer als selbstverständlich erachtet, wenn sie Kraft oder Geschwindigkeit als Dimensionen unterstützt haben. Am Bau würden wir uns beispielsweise wundern, wenn die Arbeiter alles noch händisch in den siebten Stock hinaufschleppen würden. Jetzt sehen wir, wie gut uns Werkzeuge auch in unserer Denkarbeit unterstützen können. ChatGPT ist wie ein Exoskelett künstlicher Intelligenz, das uns hilft, schwere Alltagsprozesse, auch Standard-Dinge, viel leichter und effizienter zu erledigen.

Das Beispiel ChatGPT zeigt auch, dass sich manche Berufsbilder stark verändern werden, weil plötzlich neue digitale Werkzeuge da sind.

Ausprobieren geht demnach auch hier über studieren?

Ja, ChatGPT ist ein Anwendungsfall, den jede Unternehmerin, jeder Unternehmer probieren kann. Ich kann als Aufgabe einfach eingeben, die Software möge mir eine Facebook-Anzeige oder mir einen Marketingtext erstellen. Das ist natürlich mit Vorsicht zu genießen, weil es nicht so intelligent ist, was da passiert. Anhand eines Regelwerks wird Wort für Wort für Wort aneinandergereiht. Das ist nicht das Spannende, spannend ist, welch unvermutete Qualität an Text da plötzlich rauspurzelt. Neu ist, dass jeder einen Zugang finden kann – mit Fragen wie, mach’ mir eine Anzeige oder einen Newsletter. Oder, wenn Studierende eingeben, mach’ mir eine Gliederung für eine Bachelor-Arbeit zum Thema XY. Da sitzt man dann bass erstaunt da und denkt sich, Wahnsinn, was da rauskommt. Es zu probieren öffnet die Augen dafür, was alles geht und es hat einen Unterhaltungswert. Dabei wird auch klar, was das für uns in Zukunft bedeutet.

Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie?

ChatGPT ist natürlich weit davon entfernt, textlich und sprachlich journalistische Qualität zu liefern.

Puh, na Gott sei Dank.

Ja (lacht). Aber es ist eben eine kostenlose Anwendung, die eine völlig neue Qualität an Texten
liefert.

Diese Entwicklungen führen auch dazu, dass es für den einen oder die andere in ihrem Geschäftsfeld eng werden kann. Welche Branchen müssen sich wegen ChatGPT wappnen?

Wenn ich davon abhängig bin, Texte für Webseiten zu verfassen, die ChatGPT ebenso verfassen kann, muss ich mir Fragen stellen. Dann bin ich an dem Punkt, wo Disruption von einem theoretischen Konstrukt ganz schnell zu einer realen Bedrohung wird. Egal, in welcher Branche wir uns befinden, dürfen wir nicht vergessen, dass das, was uns gestern erfolgreich gemacht hat, nicht zwangsläufig das sein muss, das morgen noch funktioniert.

Haben Sie den Eindruck, dass jene Branchen, die direkt von den Auswirkungen betroffen sind, das schon wissen?

Ich bin mir da manchmal nicht so sicher. Gerade ChatGPT war für viele die pure Überraschung. Wenn ich ein ausgezeichneter Texter bin, heißt das ja nicht zwangsläufig, dass ich die technischen Entwicklungen dauernd am Radar habe. ChatGPT generiert Texte auf eher niedrigem Niveau, doch das muss nicht so bleiben. Egal, in welcher Branche – da sollten alle genau hinschauen und sich fragen, was diese Technologien verändern. Im schlimmsten Fall kann es sein, dass mir das um die Ohren fliegt. Videoverleih war früher ein super Geschäftsmodell und plötzlich war es weg. Das muss man auf dem Radar haben. Manche wähnen sich da in falscher Sicherheit. Vieles kann sich ganz schnell ändern.

Die disruptiven Technologien fordern die Köpfe insofern, als dass man nicht mehr so denken kann wie bisher. Wie müssen Unternehmerinnen und Unternehmer, die vermeintlich nichts damit zu tun haben, beispielsweise über IoT, das Internet der Dinge, nachdenken oder sich dem Thema annähern?

Bei IoT habe ich manchmal das Gefühl, dass das gar nicht so abstrakte Dinge sind. In vielen Tiroler Unternehmen ist es bereits Alltag, dass Maschinen miteinander kommunizieren oder Maschinen mit mir kommunizieren. Wenn sich eine Maschine selbstständig meldet, weil sie anhand gewisser Parameter der Meinung ist, dass eine Nachsicht klug wäre. Beispielsweise in einem digital verwalteten Gebäude, wo dem Facility Manager gemeldet wird, dass eine Glühbirne ausgewechselt werden muss und zwar genau dieses Modell, das er im Lager im Regal sowieso findet. Oder Unternehmen, wo die Produktionsstoffe automatisiert nachbestellt werden. Da steckt viel Positives drin. Im Alltag hat das auch nicht mehr den Nimbus des Hochtheoretischen, sondern ist im Einsatz logisch, praktisch und einfach nachzuvollziehen.

Wir sind weit davon entfernt, Diskussionen darüber führen zu müssen, dass KI die Weltherrschaft übernimmt.

Es gibt ganz banale und es gibt hochkomplexe Anwendungen. Gibt es bei KI einen gemeinsamen Nenner für alle Möglichkeiten?

Ich habe das Gefühl, dass wir oft von Künstlicher Intelligenz sprechen, wo Fachexpert:innen sagen, so intelligent ist das gar nicht. ChatGPT ist, wie schon erwähnt, nicht wahnsinnig intelligent, sondern reiht möglichst sinnhaft Wort für Wort aneinander – da steckt kein großer Prozess, wie bei einem Schriftsteller oder einer Journalistin dahinter. Gleichzeitig sind wir dann aber wieder in Datenfeldern unterwegs, wo man sagt Wahnsinn. Trotzdem sind wir immer noch weit davon entfernt, Diskussionen darüber führen zu müssen, dass Künstliche Intelligenz die Weltherrschaft übernimmt.

Eine konkrete Anwendung von KI passiert im Zusammenspiel mit Virtual oder Augumented Reality. Wie wird diese Entwicklung weitergehen?

In diesem Bereich finde ich faszinierend, wie flexibel und leistungsfähig unser Gehirn ist. Dass wir uns in diesen virtuellen Realitäten innerhalb kürzester Zeit so akklimatisieren, dass wir die virtuelle Realität tatsächlich als Realität wahrnehmen. Es gibt Untersuchungen, wo man den Anwendern in der virtuellen Welt eine dritte Hand gegeben hat, die dann über zwei drei Metern etwas erreichen kann – also über den Aktionsradius der eigenen Hände hinaus. Innerhalb von wenigen Minuten waren die meisten Probanden in der Lage, das intuitiv einzusetzen und zu nutzen. Auch bei den virtuellen Realitäten gilt, dass sie als Erweiterung unserer Realitäten irrsinnig spannend sind.

Das Metaverse von Facebook-Gründer Marc Zuckerberg zielt in diese Richtung. Womit muss gerechnet werden, was ist realistisch und was nicht?

Wie immer bei diesen neuen Themen ist auch hier interessant, dass ganz viele vermeintliche Expertinnen und Experten plötzlich durch die Gegend ziehen und gefühlt die nächste Sau durchs Dorf jagen. Oft werden dabei keine substanziellen Informationen oder Wege aufgezeigt. Ich glaube, es wird nicht das eine Metaverse geben, sondern dass wir da vergleichbar mit dem WorldWideWeb eine Entwicklung sehen, wo ein großes Konstrukt von vielen End-Usern genutzt werden wird. Zuckerberg geht mit derart großem, milliardenschwerem Engagement da rein, dass man sagen kann, der gute Mann geht all in und es gibt no way back.

Zuckerberg hat in der Vergangenheit schon gute Riecher für viele Themen bewiesen. Ein Indiz?

Ja. Ich glaube aber auch, dass in diesem Metaverse, das man sich insgesamt als dreidimensionales Web mit ganz viel Interaktion, Mitbestimmung und Teilhabe vorstellen kann, wahnsinnig viel Potenzial steckt. Ich glaube, dass sich da viel entwickeln wird. All diese Entwicklungen kommen nie aus dem Nichts. Damit müssen wir uns als Unternehmer:innen akklimatisieren, das wird nicht mehr verschwinden.

Womit müssen sich Unternehmer:innen angesichts der Entwicklungen unbedingt auseinandersetzen?

Ich glaube, da geht es darum, die eigene Unternehmensstrategie zu nehmen und zu schauen, was sich da verändern könnte. Professor Kurt Matzler hat das schön auf den Punkt gebracht, als er sagte, man sollte sich den Nightmare Competitor, also den alptraumhaftesten Wettbewerber vorstellen, wer und was mich vom Markt fegen könnte. Wenn man sich diese Frage stellt, kommt man in der eigenen Branche drauf, was passieren könnte. Sich zu überlegen, wer mein Alptraum-Wettbewerber wäre und was mich völlig aus der Spur hauen könnte, heißt ja nicht, dass das eintreten muss, aber es gibt einen klaren Blick darauf, was da in Bewegung geraten könnte. Wenn man schon mal darüber nachgedacht hat, hat man zumindest eine Orientierung und es schärft den Blick.

Es gibt durchaus noch einige kleine digitale Verweigerer:innen in der Tiroler Unternehmenswelt, die sich nach dem kurzen Corona-Hype in Richtung Digitalisierung wieder zurückgezogen haben. Wie schätzen Sie deren Zukunft ein?

Ich teile den Eindruck, dass es die kleinen Verweigerer:innen gibt, aber die wird es immer geben.
Corona war schon ein großer Push für das gesamte Thema der Digitalisierung und vieles davon bleibt in unterschiedlichsten Dimensionen. Wir dürfen uns aber nicht der Illusion hingeben, dass das Thema eh durch ist oder man flächendeckend alle
erreicht hat.

Künstliche Intelligenz:

Künstliche Intelligenz (KI) begegnet uns längst im Alltag – bei Sprachassistenten wie Siri und Alexa, Gesichtserkennungsprogrammen oder Navigationssystemen, die Einsatzmöglichkeiten von KI werden auch als gigantisch eingeschätzt und liegen laut einer Studie von Allied Market Research bis 2030 bei 1,5 Billionen Euro. Alle Welt redet davon, doch eine allgemein gültige Definition von KI gibt es nicht. KI ist jedenfalls der Versuch, menschliches Denken und Lernen auf den Computer zu übertragen und ihm Intelligenz in dem Sinn zu verleihen, als dass KI selbstständig Probleme lösen und eigenständig Antworten finden kann. KI wird beispielsweise genutzt, Informationen aus Daten zu ziehen, die der Mensch nicht zu erfassen vermag, weil es zu viele sind oder die Muster, die sich darin verstecken, zu komplex sind. Obwohl KI all das kann und die Rechengeschwindigkeiten derart große Sprünge machten, dass KI in richtig großem Maßstab nutzbar ist, ist sie kein universeller Problemlöser und sie besitzt auch keinen Hausverstand (common sense) – sie kann nur Antworten oder Lösungen für Fragen oder Aufgaben geben, für die sie programmiert wurde.


ChatGPT:

Chat GPT steht für „Chat Generative Pre-trained Transformer“, einen Chatbot, der auf einem Maschinenlernmodell basiert, das menschliche Eingaben versteht und auf natürlich klingende Weise Texte und Dialoge verfassen kann, die überraschen, weil sie von Menschen sein könnten. Es wurde am 30. November 2022 vom US-amerikanischen Start-up OpenAI zugänglich gemacht, das renommierte Tech-Unternehmer:innen gründeten und eine Milliarde Dollar investierten, um eine Künstliche Intelligenz zu entwickeln, die laut Satzung „der gesamten Menschheit nutzt“. ChatGPT kann von jedem kostenfrei genutzt werden und weil das Lernen des Modells ebenso am Anfang steht, wie die Einsatzmöglichkeiten, wird erwartet, dass es den Arbeitsalltag in vielen Branchen verändert.