Drehscheibe in der Berufsorientierung
In den Schulen spielen die Berufsorientierungs-Koordinator:innen eine zentrale Rolle. Ein eigener Hochschul-Lehrgang sorgt für die optimale Qualifikation.
D ie Berufswelt wird immer komplexer. In Tirol gibt es mehr als 150 Lehrberufe, aus denen die Jugendlichen auswählen können. Kein Wunder, dass der Überblick nicht leicht zu bewahren ist und ohne professionelle Berufsorientierung gar nichts mehr geht. Ein zentrales Tätigkeitsfeld des Bildungsconsultings der WK Tirol ist die Berufsorientierung für Tiroler Schülerinnen und Schüler. Das Angebot reicht von Bewerbungsworkshops über die Berufs-Safari und Berufs-Festivals bis hin zu Junior Company, der Talent-Card und der Plattform berufsreise.at. „Es braucht aber unbedingt auch in den Schulen eine Drehscheibe für eine professionelle Berufsorientierung. Diese Aufgabe erfüllen die Berufsorientierungs-Koordinatorinnen und -Koordinatoren“, erklärt der für Berufsorientierung zuständige Experte am Bildungsconsulting, Markus Abart.
Sie sind das Bindeglied zwischen externen Partner:innen in der Berufsorientierung wie Unternehmen und Beratungsinstitutionen sowie zwischen Direktor:innen bzw. Lehrpersonen in der Berufsorientierung und Schülerberater:innen. Die Koordinator:innen halten zudem den Kontakt zu den unterschiedlichen Berufsorientierungsinstitutionen. Schulen müssen nicht alle Unterstützungen für die Berufsorientierung selbst anbieten, aber sie sollten Schülerinnen und Schüler bei der Gestaltung ihrer Entscheidungsprozesse begleiten und beraten sowie über zur Verfügung stehende Unterstützungen informieren.
Wichtige Multiplikatoren
Wer jedoch Orientierung geben will, muss zuerst einmal selbst Orientierung haben. Aus diesem Grund wurde der Hochschullehrgang Berufsorientierungs-Koordination an der Pädagogischen Hochschule Tirol entwickelt. „Aus- und Weiterbildung in diesem Bereich ist sehr wichtig, da diese Pädagoginnen und Pädagogen wichtige Multiplikatoren in der Berufsorientierung sind“, betont Markus Abart. Der berufsbegleitende Lehrgang umfasst 3 Semester im Umfang von 9 ECTS-Punkten. Die Zielgruppe sind Lehrer:innen von allgemeinbildenden Pflichtschulen und höheren Schulen. Die Ziele sind klar definiert: Jugendliche und deren Erziehungsberechtigte sollen im Rahmen der schulischen Berufs- und Bildungsorientierung sowie der Bildungsberatung unterstützt werden, um Bildungswegentscheidungen entlang von Begabungen und Interessen individuell treffen zu können. Dazu muss für jede Schule ein entsprechendes, dem Standort angepasstes Konzept entwickelt werden, das entsprechend zu koordinieren ist.


Im TW-Interview zeigt Martin Lagger, Leiter des Lehrgangs Berufsorientierungs-Koordination, auf, welche bereits existierenden Angebote und welche Entwicklungspotenziale es im Bereich BO-Unterricht gibt.
Wie ist die Berufsorientierung in den Tiroler Schulen verankert?
Der Berufsorientierungsunterricht (BO-Unterricht) ist in allen allgemeinbildenden Schularten ab der Sekundarstufe I im Lehrplan verankert und wird hauptsächlich in der 7. und 8. Schulstufe nach dem Lehrplan der verbindlichen Übung „Berufsorientierung“ umgesetzt: An der Mittelschule gibt es eine eigene Berufsorientierungsstunde, an der AHS wird der BO-Unterricht vor allem integrativ durchgeführt. Es gibt eine österreichweite, verpflichtende Testung in Form eines Online-Fragebogens. Die Zielsetzung ist, die Berufswahlreife und die Grundinteressen abzufragen. Der Fragebogen bildet den Auftakt für den Prozess der Bildungs-, Berufs- und Lebensorientierung. Darüber hinaus gibt das Instrument Hinweise, ob individuelle Risiken vorliegen, welche die Schullaufbahn gefährden könnten.
Gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Schultypen?
Die Berufsorientierung selbst wird an den Schulen unterschiedlich gelebt. Im Gymnasium ist der Zugang dazu gering, die Berufsorientierung ist in den Fächern kaum verankert und kommt als eigenes Fach so gut wie gar nicht vor. Im Gegensatz dazu ist Berufsorientierung in den Mittelschulen gut angekommen, wobei auch hier natürlich viel vom Engagement der einzelnen Lehrpersonen abhängt.
Wie hat sich die Ausbildung für die Berufsorientierung in den Schulen in den letzten Jahren entwickelt?
Wir haben drei Funktionen, die sich ergänzen: Die Berufsorientierungs-Lehrpersonen, die Berufsorientierungs-Koordination und die Schüler- und Bildungsberatung, die bei der Schulpsychologie angesiedelt ist. Leider ist die Ausbildung für die BO-Lehrpersonen zurückgefahren worden. Das ursprüngliche Erweiterungsstudium Berufsorientierung und Lebenskunde wurde von den Universitäten heuer eingestellt. Die Länder sind gerade dabei, einen neuen Hochschul-Lehrgang zu entwickeln, der diesen Ausfall zumindest teilweise kompensiert. Für die Berufsorientierungs-Koordination startet gerade ein neuer Hochschul-Lehrgang, dessen Entwicklung mir sehr wichtig gewesen ist.
Was hat sich durch diesen Lehrgang Berufsorientierungs-Koordination geändert?
Wenn mehrere Menschen an einem System arbeiten, braucht es Management. BO-Koordinator:innen sind speziell ausgebildet und erhalten auch Anerkennung über eine gesonderte Bezahlung. Dadurch wird der ganze Ablauf professioneller und die jeweilige Schule erfährt mit einem Standort-Konzept eine Verbesserung in der Berufsorientierung. Letztlich hängt aber alles davon ab, wie intensiv die einzelnen Lehrpersonen Berufsorientierung in ihren Unterricht einbauen. Unterstützung und Unterlagen dafür sind jedenfalls vorhanden.
Wie ist die Situation bzw. das Angebot in der Berufsorientierung in Tirol im Österreichvergleich?
Das Bildungsconsulting, das WIFI, die Arbeiterkammer und andere Institutionen bieten ganz tolle Programme an. Wir haben in Tirol einen Ferrari in der Berufsorientierung, bewegen uns damit allerdings in der Dreißiger-Zone. Eigentlich würden wir damit auf die Rennstrecke gehören. Ein derart professionelles Angebot für die Jugendlichen gibt es in anderen Bundesländern in dieser Art und Weise nicht. Die Angebote sind sowohl real als auch digital verfügbar und die Zusammenarbeit mit den Schulen ist gut.
Welche neuen Entwicklungen gibt es in der Berufsorientierung?
Wir arbeiten gerade daran, die einzelnen Angebote zu verknüpfen und mit dieser Vernetzung den Jugendlichen noch bessere Orientierung zu bieten. Das Ziel ist, dass Jugendliche, die den verpflichtenden österreichweiten Test absolvieren, von dieser Website direkt auf andere Angebote wie Ausbildungswege, Lehrbetriebe und offene Lehrstellen in ihrer näheren Umgebung weitergeleitet werden.
Wo sollte es in den kommenden Jahren noch Verbesserungen geben?
Abgesehen von den oben geschilderten Weiterentwicklungen im technischen Bereich, braucht es die Wertschätzung seitens des Ministeriums in Form von Unterrichtsstunden und der entsprechenden Bezahlung der in der Berufsorientierung tätigen Lehrpersonen. Berufsorientierung gehört etabliert und nicht nur integriert. Es gibt wie geschildert sehr professionelle Angebote für die Jugendlichen, und es wäre einfach schade, diese PS nicht auf die Straße zu bringen.
In diesem Hochschullehrgang erwerben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer jene Inhalte und Kompetenzen, die sie als Koordinator:innen für diese Aufgabe benötigen. Der Lehrgang qualifiziert die Teilnehmer:innen somit, die schulinterne Koordination von Bildungs- und Berufsorientierung in der Sekundarstufe I und II in enger Zusammenarbeit mit der Schulleitung zu übernehmen und die Umsetzung von ibobb (Information, Beratung und Orientierung für Bildung und Beruf) als Prozess zu initiieren, zu begleiten und zu unterstützen. Ein zentraler Bestandteil der Ausbildung neben Inhalten wie Projektmanagement, Beratung und der Moderation von Entwicklungsprozessen ist der Kontakt zu den wichtigsten Anbietern von Berufsorientierungsmaßnahmen in Tirol und das Kennenlernen der entsprechenden Angebote.
Gute Zusammenarbeit
Damit ist der Hochschullehrgang ein Beispiel für die gute Zusammenarbeit zwischen den Tiroler Sozialpartnern, dem AMS und der Bildungsdirektion Tirol. Das Ergebnis ist eine Top-Ausbildung für Lehrpersonen, die ihr Wissen an jene jungen Menschen weitergeben können, die volle Unterstützung für gute Entscheidungen in ihren Berufsorientierungsprozessen benötigen.
Das Bildungsconsulting der WK Tirol ist voll in den Lehrgang eingebunden: Im Rahmen des Lehrgangs werden vom Bildungsconsulting unter anderem Entwicklungen in der Lehrlingsausbildung, aktuelle Trends bei der Bewerbung für Jugendliche, innovative Tools in der Berufsorientierung wie Lern-Apps oder der eigens entwickelte Foto-Interessentest PICTA für Schulklassen sowie Angebote des Bildungsconsultings wie die Berufs-Safari oder berufsreise.at vorgestellt und geschult.
Professionalität und Qualität
Berufsorientierungs-Koordinator:innen sind damit der Garant für die Professionalität der Berufsorientierung an den Tiroler Schulen. Sie sind auch der Motor dafür, die Qualität der Berufsorientierung sichtbar zu machen und in hohem Maße dafür verantwortlich, dass Schulen sich um das Gütesiegel „Berufsorientierung Plus“ bewerben. Dieses Gütesiegel ist ein Gemeinschaftsprojekt des Landes Tirol mit der Wirtschaftskammer Tirol, der Arbeiterkammer Tirol, der Landwirtschaftskammer Tirol, dem Österreichischen Gewerkschaftsbund Tirol, der Industriellenvereinigung Tirol, der Pädagogischen Hochschule Tirol und der Bildungsdirektion Tirol. Das Ziel ist die Anerkennung qualitativ hochwertiger Bildungs- und Berufswahlberatung an den Schulen und damit verbunden die Motivation zur kontinuierlichen Weiterentwicklung.

Die Schulen dürfen die Auszeichnung drei Jahre lang führen und erhalten von den Tiroler Sozialpartnern ein Preisgeld, das wiederum für die Nutzung von Angeboten in der Berufsorientierung genutzt werden kann. Die Schulen bieten den jungen Menschen verschiedene Eignungs- und Neigungstests, berufspraktische Schnuppertage in Unternehmen und üben mit ihnen gemeinsam Bewerbungsgespräche sowie das Erstellen von Bewerbungsmappen. Seit Einführung der Auszeichnung vor mittlerweile 17 Jahren wurde das Gütesiegel an mehr als 100 Schulen verliehen. Im vergangenen Schuljahr haben 24 Schulen das Gütesiegel erhalten – so viele wie noch nie.
„Gerade in der Zeit des akuten Fachkräftemangels kann der Stellenwert der Beratung für die Schülerinnen und Schüler nicht hoch genug eingeschätzt werden“, erklärt Markus Abart, „wenn es gelingt, einen Beruf nach seinen individuellen Talenten und Neigungen zu finden, ist das ein Gewinn für alle Beteiligten. Zu aller erst natürlich für den Jugendlichen selbst, aber auch für den Betrieb, der auf einen hoch qualifizierten und motivierten Mitarbeiter zählen kann.“