Das Beste aus beiden Welten
Mit diesen neuen Titeln wird die Brücke zwischen akademischen und berufspraktischen Ausbildungen geschlagen. Die ersten Bachelor-Professional-Programme stehen in den Startlöchern.
Lange Zeit hatte die duale Ausbildung sowie andere berufliche Abschlüsse das Problem, dass es sowohl von der rechtlichen Basis her als auch in den Köpfen der Österreicherinnen und Österreicher eine klare Zweiteilung gab: Hier die Akademiker – dort die anderen. In der Praxis sind zwar Professionisten sind wie Heizungstechniker oder IT-Spezialisten extrem nachgefragt, während man nicht von jedem Hochschulabsolventen sagen kann, dass er einen adäquaten Arbeitsplatz findet.
Trotzdem genossen im titelverliebten Österreich Akademiker ein höheres Ansehen. Anders gesprochen: Obwohl die österreichische Lehrlingsausbildung sowie berufliche Weiterbildungen international oft kopiertes Erfolgsmodelle sind, hatten sie immer unter einem geringeren Image zu leiden. Doch nun ist die alte Ordnung Geschichte. Das neue Hochschullegistik-Paket durchbricht die strenge Zweiteilung und macht damit auch möglich, dass Berufserfahrung zum gesamten akademischen Weg ermächtigt. Diese Neuerung verbindet Theorie und Praxis zum Besten aus beiden Welten.
Neue gesetzlich Grundlagen
Die neuen gesetzlichen Grundlagen schaffen einheitliche Rahmenbedingungen für die hochschulische Weiterbildung, und zwar egal, ob sie von Universitäten, Pädagogischen Hochschulen, Fachhochschulen oder Privatuniversitäten angeboten wird. Im Zuge dessen wurden neue akademische Grade eingeführt: Der Bachelor und der Master Professional. Künftig können Personen, die über eine einschlägige berufliche Qualifikation oder eine mehrjährige Berufserfahrung verfügen ohne zusätzliche Vorbereitungskurse Studienangebote für diese neuen Titel nutzen. Die Matura ist nicht mehr zwingend erforderlich. Das bedeutet eine enorme Aufwertung für berufliche Vorerfahrung.
Voraussetzungen
Die organisatorische Voraussetzung ist klar definiert: Der Bachelor Professional ist ein Weiterbildungsabschluss und daher muss neben einer tertiären Bildungseinrichtung auch eine außerschulische Bildungseinrichtung mit an Bord sein. Das bedeutet: Universitäten müssen sich der berufspraktischen Fachkompetenz öffnen und sind „gezwungen“, mit Instituten für die Berufsbildung zusammenzuarbeiten. Die Berufspraktikerinnen und Berufspraktiker wiederum müssen ihre Skepsis gegenüber wissenschaftstheoretischem Lernen abbauen und den wissenschaftlichen Input als Chance begreifen. Die Absicht dahinter ist offenkundig: Das soll sicherstellen, dass theoretische und berufspraktische Elemente kombiniert werden.
Damit schlagen der Bachelor und der Master Professional die Brücke zwischen Theorie und Praxis und sind das Missing Link, um die bisher getrennten Welten von Hochschule und Berufsausbildung zusammen zu führen. Das Studium ist gleichwertig mit einem klassischen Bachelor-Studium und berechtigt daher auch zu einem weiterführenden Master-Studium, ist aber auch gleichwertig einer Meister- oder Befähigungsprüfung.
Parallel zur Einführung des Bachelor Professional wurde auch der Wildwuchs an Weiterbildungsausbildungen und Hochschultypen neu geregelt.
Perspektiven
Das Ziel ist, die verschiedenen akademischen Weiterbildungen vergleichbarer zu machen. Bisher schlossen zwar die meisten Weiterbildungsstudien mit einem Master ab, aber Umfang, Dauer und die zu erreichenden ECTS-Punkte variierten stark. Damit wird nun aufgeräumt. Künftig sollen auch die kostenpflichtigen Weiterbildungsstudienprogramme der dreiteiligen Bologna-Ordnung mit dem Aufbau Bachelor – Master – PhD folgen. Die Weiterbildungsbachelors bzw. Masterstudien müssen dafür im Umfang den ordentlichen Bachelorprogrammen (180 ECTS, entspricht drei Jahren Vollzeitstudium) und Masterstudien (üblicherweise 120 ECTS) angepasst werden und sollen wie in einer Art Baukastensystem mit ordentlichen Studien kombinierbar sein. Neu ist auch, dass hochschulische Weiterbildungslehrgänge nicht mehr akkreditierungspflichtig sind, egal an welchem Hochschultyp sie eingerichtet werden.
Wichtige Ergänzung
Nun geht es darum, diesen rechtlichen Rahmen mit konkreten Angeboten zu füllen. Erste Fachbereiche sind bereits dabei, Curricula zu entwickeln und Bachelor-Professional-Studien anzubieten. In Tirol sind die psychosozialen Berater:innen unter Fachgruppenobmann Bernhard Moritz bereits mitten in diesem Prozess (siehe Interview auf Seite 55). Damit werden berufspraktische Studien in den kommenden Jahren zu einer wichtigen Ergänzung zu rein akademischen Ausbildungen und erweitern damit das Angebot für unsere Jugendlichen.


Im TW-Interview zeigt Bernhard Moritz, Obmann der Fachgruppe Personenberatung und Personenbetreung Tirol, auf, welche Möglichkeiten und Chancen die neuen Bachelor-Professional-Programme mit sich bringen.
Was war die Basis für den Bachelor und Master Professional?
Die Basis ist Europäische Qualifizierungsrahmen, der 2008 in Kraft getreten ist. 2016 hat Österreich auf dieser Grundlage den Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) umgesetzt. Dieses Gesetz definiert die Ziele, Kriterien, zuständige Gremien und die Prozesse der Zuordnung von Bildungsabschlüssen („Qualifikationen“) aus allen Bildungsbereichen zu acht Niveaustufen.
Welche Auswirkung hat diese Zuordnung im NQR?
Das führt zu Transparenz und Vergleichbarkeit, sowohl national wie europäisch. Es ist unerheblich, in welcher Bildungseinrichtung der Abschluss erworben wird, es kommt nur auf die Einstufung in Lernergebnisse und damit die Zertifizierung der Qualifikation an. Daraus folgt, dass sehr unterschiedliche Qualifikationen auf der gleichen Niveaustufe zu liegen kommen können, ohne dass diese Abschlüsse gleichartig in Bezug auf ihre konkreten Inhalte sein müssen. Mit anderen Worten: Es zählt die Gleichwertigkeit, nicht die Gleichartigkeit.
Wo liegen die Vorteile für den Bachelor Professional?
Der Bachelor Professional vereint fachwissenschaftliche mit berufspraktischer Kompetenz. Er ist einer Befähigungsprüfung auf Stufe sechs des nationalen Qualifikationsrahmens gleichgestellt. Damit herrscht eine vollkommene Gleichwertigkeit – nicht Gleichartigkeit – zwischen akademischen und berufspraktischen Ausbildungen. Es ist also das, was die Wirtschaftskammer im Bildungsbereich schon immer verfolgt hat: Die Kompetenzanerkennung und die Kompetenzbewertung von formalem (schulischem) wie auch nonformalem (berufspraktischem) Know-how im Sinne einer Gleichwertigkeit.
Welche Auswirkungen hat diese neue Möglichkeit für das duale System?
Eine Lehrausbildung wird für Jugendliche interessanter, und zwar vor allem für solche, denen ein weiterführender Karriereweg wichtig ist. Nun muss man sich nicht mehr entscheiden, ob man den berufspraktischen oder den akademischen Weg einschlagen will, sondern hat alle Optionen, eine Lehrausbildung bis in höhere Qualifikationsstufen fortzusetzen. Das bringt auch einen weiteren Imageschub für die Lehre, weil nur nach oben hin alles offen ist.
Hat diese neue Möglichkeit auch auf die „Lehre mit Matura“ eine Auswirkung?
Gerade bei „Lehre mit Matura“ besteht ja die Gefahr, dass Lehrlinge weiter als „nur“ bis zum Gesellen kommen wollen und auf Unis abwandern. Hier ist das Modell des Bachelor Professionals interessant, weil ein Abschluss trotz Betriebszugehörigkeit und Weiterarbeiten in der Firma möglich ist. Das ist gerade in Hinblick auf den akuten Fachkräftemangel von großer Bedeutung und erweitert den Spielraum der Betriebe in Hinblick auf die Qualifizierung ihres eigenen Führungskräftenachwuchses. Das eröffnet gerade für Firmen, die eigene Weiterbildungsakademien haben interessante Zukunftsoptionen.
Wie muss man sich die Entwicklung eines Ausbildungsplanes konkret vorstellen?
Universitäten und Berufsbildungsinstitute entwickeln gemeinsam einen anerkannten Bachelor-Lehrgang mit 180 ECTS. Unsere Berufsgruppe hat dafür eine Kooperation mit der UNI for LIFE der Universität Graz abgeschlossen. Die Universität ist für den wissenschaftstheoretische Qualität zuständig, wir für den berufspraktische. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Universität beschäftigt sich auch mit berufspraktischem Know-how, und die Praktiker erhalten eine wissenschaftliche Basis.
Welche Vorteile kann der Bachelor Professional für Tirol bringen?
Länder, die in ihrem Bildungsportfolio Bachelor Professional Angebote fördern, ermöglichen Unternehmen einen Standortvorteil, weil junge Menschen nicht aufgrund von Studienangeboten abwandern, sondern im Land bleiben. Ebenso können Firmen ihren Mitarbeiter:innen ein attraktives firmeninternes Weiterbildungsangebot bieten, das universitär unter- und gestützt ist, ohne dass diese sich klassisch zwischen Studium oder Beruf entscheiden müssen. Und letztlich ist der Bachelor Professional, weil er gleichwertig einer Befähigungsprüfung oder Meisterprüfung ist, auch eine Möglichkeit der Unternehmensgründung.