Kreativer Kampf um König Kunde

Lesezeit 10 Minuten
Sonja Altenburger vor ihrem Geschäft in Rattenberg
Sonja Altenburger vor ihrem Geschäft in Rattenberg
Sonja Altenburger von „Armütter Buch & Papier“ in Rattenberg gelingt es , mit kreativen Lösungen Tradition und moderne Ansätze zu verbinden.
© Isabelle Bacher

Neue Handelswelten: Tiroler Best Practice-Beispiele machen nicht nur Mut oder Hoffnung. Sie sind ein Zeichen der Selbstwirksamkeit.

„Uns is ned schiach vor der Zukunft“, sagt Sonja Altenburger. Die Energie, mit der die Obfrau der Fachgruppe Buch- und Medienwirtschaft in der WK Tirol in der herrlichen „Mundart“ des Tiroler Unterlandes klar macht, dass sie keine Angst vor der Zukunft hat, ist so stark und prickelnd, wie die Geschichte, die dahintersteckt. Sonja Altenburger führt in 8. Generation die Buchhandlung Armütter in Rattenberg. „Die gibt es schon seit 1799. Das Familienunternehmen hat als Buchbinderei angefangen, dann ist eine Druckerei und um die Jahrhundertwende 1900 die Fotografie dazugekommen. Mein Großvater hat beispielsweise die ganze Region mit Postkarten aus der Umgebung versorgt“, erzählt Altenburger die Geschichte des Hauses im Stakkato.

„Der Armütter“ gehört zur kleinsten Stadt Tirols wie die heilige Notburga, die hier im Jahr 1265 geboren und viel mehr noch als der Tiroler Kanzler Wilhelm Biener, der hier im Jahr 1651 hingerichtet wurde. Rattenberg zählt aktuell 442 Einwohner, lockt aber ein Vielfaches dieser niedlich wirkenden Zahl mit seinem italienisch anmutenden Flair an. Tirols kleinste ist zugleich die einzige Stadt im weiten Umkreis, was die Dorfbewohner der Region immer schon zu schätzen wussten. „Ja, es ist ein sympathischer Platz, um Geld zu verdienen“, sagt Sonja Altenburger.

Nahversorger im besten Sinne

Buchhandlung, ländliche Region und Geld verdienen ist nicht unbedingt ein Trio, das auf den ersten Blick harmonisch wirkt. Schon gar nicht seit Amazon eine neue Zeitrechnung für stationäre Händler wie den Armütter einläutete. Mit Büchern hat diese Marktmacht-Übernahme ja begonnen. Doch ist das geschichtsträchtige Rattenberger Haus nicht nur Buchhandlung, sondern auch Papierhandlung und außerdem eine Tabaktrafik mit Lotto, Toto und allem bunten Pipapo.

„Wir sind eine Art Gemischtwarenhandlung, ein Nahversorger für unsere Gegend. Viele Omas und Opas, die als Kinder das Schulzeug vom Armütter bekommen haben, kommen mit ihren Enkeln zu uns. In vielen Dörfern rundherum gibt es keine Buchhandlung und auch keine Papierhandlung“, beschreibt Altenburger ein Geheimnis der Anziehungskraft, die mit dem ersten Lockdown jäh zusammenbrach beziehungsweise zusammenbrechen musste. „Wir haben im März letzten Jahres sofort umgeschaltet. Alle Leute waren ja plötzlich daheim und wir fragten uns, wie wir die Bücher, die im Abholfach lagen, zu unseren Kunden bringen können“, blickt Altenburger zurück.

Sonja Altenburger, Obfrau der Fachgruppe Buch- und Medienwirtschaft

In Windeseile wurden Liefermöglichkeiten mit der Bezirkshauptmannschaft abgeklärt, „mein Mann hat sich ins Auto gesetzt und wir konnten in 20 Tagen über 300 Aufträge ausliefern.“ Rasch erkannten die Rattenberger Spezialisten für leeres wie bedrucktes Papier, dass die auf Heimarbeit unvorbereiteten Menschen in der Umgebung, Druckerpapier und -patronen brauchten. „Weil wir eher auf Schule spezialisiert sind, hatten wir diese Büroartikel nicht geführt und haben unser Sortiment erweitert“, so Altenburger weiter.

Onlineshop und Mundpropaganda

Ein kleiner Mini-Onlineshop mit einfacher Such- und Bestelloption wurde auf der Homepage implementiert und mit dem Bestell- wie Lieferangebot traf das Geschäft ins Schwarze. „Wir haben unser Angebot über Instagram und Facebook aber auch über die Regionalzeitung beworben und es gab ganz viel Mundpropaganda. Viele Kunden sind dazugekommen, die vorher noch nie in unserem Geschäft waren und in der kurzen Zeit Stammkunden geworden sind. Sie haben uns die Rückmeldung gegeben, auch in Zukunft nicht mehr bei Amazon, sondern bei uns vorbeizuschauen“, berichtet Sonja Altenburger.

Das Lieferservice wird „der Armütter“ beibehalten, die Mitarbeiter haben weiterhin alle Hände voll zu tun und die Chefin weiß: „Der Begriff Unternehmer kommt von unternehmen. Man muss immer etwas unternehmen, darf nie stillstehen und muss auch kreative Lösungen anbieten.“

Kontinuität als wichtige Säule

Dass es der Rattenberger Buch- und Papierhandlung gelungen ist, derart positiv durch und gestärkt aus der Krise zu kommen, ist nicht nur ein Best-Practice-Beispiel, sondern auch ein sehr spezielles in der großen, diversifizierten Branche, die seit gut einem Jahr auf Nadeln sitzt. „Ganz wichtig ist, dass es kein Auf und Zu wird und die Händler kontinuierlich arbeiten können. Die Lager beziehungsweise die Tatsache, dass viele Geschäfte die Ware schnell und stark vergünstigt verkaufen müssen, sind aktuell ein großes Problem. Die Kosten dafür sind enorm und das Hauptthema ist natürlich der Umsatz“, stellt Dieter Unterberger, Obmann der Sparte Handel in der WK Tirol, zur aktuellen Handelslage fest.

Die Kontinuität, von der er spricht, ist die wichtigste Säule für ein Abschütteln der Krisen-Gänsehaut. Und ausgerechnet in der angespannten Ausnahmesituation ist es entscheidend, rasch zu handeln, weit zu blicken, kreativ zu sein, Stärken zu erkennen und sich unter digital verschärften Bedingungen ein Stück weit neu zu erfinden.

„Im Zusammenhang mit der digitalen Präsenz brauchen die Händler sicher noch viel mehr Unterstützung der öffentlichen Hand. Die WK Tirol ist schon lange damit beschäftigt und baut das niederschwellige Angebot weiter aus. Die Funktion des Handels als Bindeglied zwischen Hersteller und Kunde wird ja durch das Netz ausgehebelt. Wenn der Hersteller die Möglichkeit hat, den Handel zu überspringen und direkt an die Kunden zu verkaufen, wird er das machen. Das ist das Damoklesschwert, das über allen hängt“, skizziert der Branchen-Obmann die Markt-Brutalität, der zu begegnen auch der Gesetzgeber gefordert ist.

Spartenobmann Dieter Unterberger
Dieter Unterberger, Obmann der Sparte Handel

Der Spartenobmann regt etwa eine CO2-Steuer auf Rücksendepakete an. „Da hat sich eine Unart entwickelt, die Pakete kreuz und quer durch Europa zu senden. Das sind völlig sinnlose Wege, die aber standardisiert werden und kostenlos sind, sodass die Kunden regelrecht in diese naive, angenehme Gedankenlosigkeit getrieben werden“, sagt Unterberger, der von der Politik eine angemessene Aufmerksamkeit gegenüber den Problemen des stationären Handels sowie rasches Handeln fordert: „Diese Probleme waren schon da. Corona wirkte wie ein Brandbeschleuniger. Am Ende des Tages ist der Unternehmer dann doch auf sich alleine gestellt und muss damit umgehen.“

Gemeinsamkeit als Trumpf

Für alle Händlerinnen und Händler war das Ende des 13. März 2020 eines, mit dem das Damoklesschwert plötzlich auf so multiple wie zu reale Art spürbar wurde. An diesem Freitag dem 13. wurde der erste Lockdown, beginnend mit dem folgenden Montag verkündet. „Wir haben die Familie ins Boot geholt und gemeinsam geschaut, wie man das schaffen, was man da machen kann“, erinnert sich Clemens Strigl. Strigl führt in dritter Generation das Unternehmen Astri, eine so kleine wie feine Schneiderei in Ötztal Bahnhof, die sich auf hochwertige und funktionelle Outdoor-Bekleidung spezialisiert hat. Jäger zählen zu den kritischen, offenkundig sehr von den Produkten überzeugten Stammkunden und seit Alois Strigl das Unternehmen 1964 gründete, wurden weit über drei Millionen „Teile“ – Hosen, Jacken, Hemden und mehr – produziert. Und verkauft.

Verkaufen im hauseigenen Shop wurde wegen des Lockdowns logischerweise unmöglich. Das Unternehmen, das 17 Mitarbeiter beschäftigt, musste sich etwas einfallen lassen. Und das schnell. „Wir haben das große Plus, unsere eigene Schneiderei zu haben und konnten gleich beginnen, Masken zu nähen“, erzählt Clemens Strigl. Parallel dazu mussten Wege gefunden werden, mit den Kunden zu kommunizieren. Strigl: „Bis dato hatten wir keinen reinen Onlineshop. Doch meine Schwester, die für unseren Shop zuständig ist, hatte die Idee, den Leuten beispielsweise auf facebook fixfertige Sets zu einem Sonderpreis anzubieten.“

Clemens Strigl - Astri
Clemens Strigl hat mit seinem Familienunternehmen „Astri“ in Ötztal-Bahnhof neue Wege der Kommunikation gefunden und konnte dadurch feststellen: „Wir wussten vorher gar nicht, wie treu unsere Kunden sind.“
© Astri

Auch wurden Sets oder spezielle Wunsch-Kombinationen der Kunden zusammengestellt, fotografiert und per Mail oder Whatsapp an die Kunden geschickt. Click & Collect, also die Möglichkeit, online zu bestellen und vor Ort selber abzuholen, erwies sich bei all diesen neuen Wegen als große Hilfe – auch für jene Stammkunden, die ihre Produkte per Telefon oder Mail bestellt hatten.

Die notwendigen Digitalisierungsschritte hat nicht nur das Unternehmen gesetzt, die Kunden taten dies ebenso. „Wir haben geschaut, dass wir die Sachen ein bisschen regionaler bedienen können. Bei den Google-Statistiken haben wir gesehen, wie die Leute unsere Aktivitäten und Mitteilungen verfolgen. Wir wussten vorher gar nicht, wie treu unsere Kunden sind“, sagt Strigl.

Wenn er zu 100 Prozent passt, wird der neue Astri-Shop online gehen. „Da fehlt mir dann natürlich irgendwann das Personal“, weiß Strigl um die Arbeitsintensität, die die professionelle Bedienung eines Online-Shops erfordert, und sagt: „Jetzt schauen wir einfach, wie wir das weitermachen.“

Flexibilität als Muss

Flexibilität ist ein Muss für stationäre Händler in ihrem Kampf um König Kunde. Die Krux dabei ist und bleibt, dass der Onlinehandel nicht mehr wegzudenken ist. „Auch wir werden da die nächsten Schritte setzen und online gehen. Es wird ein Standbein sein, aber aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen glauben wir nicht, dort konkurrenzfähig sein zu können. Diese Ungerechtigkeit lässt sich nicht wegdiskutieren“, spricht Wolfgang Feucht etwa die steuerlichen Auswege internationaler Online-Riesen an, die in krassem Gegensatz zu den Abgabepflichten der Händler vor Ort stehen. Er stellt klar: „Wir sehen unsere Online-Präsenz eher als Service für den Kunden.“

Wolfgang Feucht ist Obmann des Handels mit Mode und Freizeitartikeln in der WK Tirol und Mitglied der Geschäftsleitung der Mode von Feucht GmbH, die so etwas wie eine Tiroler Königin der erfolgreichen stationären Modehändler ist. Das Familienunternehmen kennt alle Handelsplätze und alle Situationen – in Einkaufszentren oder Innenstädten – und pariert die Angriffe mit viel Einsatz. Und Bravour. „In Zukunft wird die soziale Nähe viel wichtiger werden. Das ist die Chance des stationären Handels. Beim Service darf es keine Kompromisse mehr geben“, lenkt Feucht den Blick zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die das Aushängeschild des Unternehmens nach außen sind: „Sie sind unsere Markenbotschafter und dementsprechend müssen sie behandelt werden.“

Wolfgang Feucht
Wolfgang Feucht, Obmann des Handels mit Mode und Freizeitartikeln

Wenn sprachlose Pubertierende in den Geschäften sitzen oder die Kunden aufgrund ihrer Online-Recherche mehr über die Produkte wissen, als die Verkäufer vor Ort, sind das Giftpfeile für die Stationären. Derartige Mitarbeiter sind jedenfalls kein Grund für die Kunden, das Sofa zu verlassen und in ein Geschäft zu kommen. „Wir brauchen motivierte Mitarbeiter, die Bock haben, mit Menschen zu arbeiten und die, wie in unserem speziellen Fall, Mode lieben. Die Menschen müssen sich freuen, wenn sie in den Laden kommen“, weiß Feucht.

Diese Überzeugung zieht sich wie ein roter Faden durch jeden Feucht-Laden und, dass das Unternehmen beispielsweise im Jahr 2019 den Österreichischen Staatspreis für „Beste Lehrbetriebe – Fit for Future“ gewonnen hat, ist kein Zufall. Dem, also dem Zufall, darf diesbezüglich nichts überlassen werden, wenn Geschäfte weiter bestehen sollen – oder wollen.

Durch die Brille der Kunden

„Einkaufen zum Erlebnis machen, ist ein Schlagwort, das es in der Branche schon ganz lange gibt. Doch muss man es auch endlich aus der Sicht der Kunden sehen“, sagt Feucht. Durch ebendiese Brille, die Brille der Kunden, wurde das „Grüne Haus“ – an der Innsbrucker „Ostflanke“ – konzipiert. Gemeinsam mit der Südtiroler Unternehmerfamilie Oberrauch (Sportler Witting) haben „die Feuchts“ Ende 2020 das ehemalige Leiner-Gebäude übernommen und mit der Planung eines außergewöhnlichen Einkaufs-Hauses begonnen. „Es wird im Grünen Haus ganz viele Serviceangebote geben, die es bis jetzt noch nicht gegeben hat“, weckt Wolfgang Feucht die Neugier.

Die Frage, warum der Kunde ins grüne Haus kommen soll, wird nicht nur mit dem Produktangebot an sich, sondern auch mit Unterhaltung beantwortet. Und mit Außergewöhnlichem. „Wir bauen Umkleidekabinen, die das Land so noch nicht gesehen hat. Das Mindestmaß beträgt 1,30 mal 1,30 Meter. Wir machen Mottokabinen, in die beispielweise ein Kinderwagen mitgenommen werden kann. Auch der Bereich vor den Kabinen wird ganz anders gestaltet“, so Feucht. An irgendwelchen Säulen lümmelnde und ungeduldig ins Handy starrende Gatten wird es im Grünen Haus jedenfalls nicht geben. Dafür aber viele Gründe, sich gerne aufzuhalten. Und gerne wiederzukommen.

Im April 2021 wird das Grüne Haus eröffnet. Mit rund 100 Mitarbeitern. Auch das ist ein schönes Zeichen. Würde Wolfgang Feucht die Unterländer „Mundart“ genauso gut beherrschen wie Sonja Altenburger, dann könnte auch er sagen: „Uns is ned schiach vor der Zukunft.“